Die Mensch-Tier-Beziehung
„Tiere spielen im Leben von Menschen seit jeher eine große Rolle. Ob als Nutz-tier, als Wach- und Schutz-tier, als Jagdgefährte oder Spurensucher, als Haustier und als Kuschel- und Streicheltier oder als Kampf- und Provokations-tier – in allen Schichten und Altersstufen sind Tiere unterschiedlicher Art und Rasse zu finden“
(Vernooij/Schneider 2013, S. V)
In der Wissenschaft und Literatur herrschen vier verschiedene Konzepte vor, welche die Beziehung zwischen Mensch und Tier darstellen und erklären:
Biophilie
Die im Jahre 1984 vom Sozialbiologen Edward O. Wilson entwickelte Biophilie-Hypothese geht davon aus, dass der Mensch über Jahrtausende hinweg eine biologisch begründete Verbundenheit zur Natur und ihrer Lebewesen ausgebildet hat. Menschen haben demnach das Bedürfnis und die angeborene Tendenz, eine Verbindung zur belebten und unbelebten Natur aufzubauen (vgl. Olbrich 2003, S. 69f.; Vernooij/Schneider 2013, S. 4f.). Beetz stellt die Vermutung auf, dass die Beziehung zu (Haus-)Tieren deshalb in letzter Zeit zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, weil sich der Mensch dem zivilisatorischen Prozess nicht in der kurzen Zeit, in der sich Technisierung und Urbanisierung erheblich verstärkt haben, anpassen konnte. Dadurch wurden vor allem emotionale und soziale Interaktionen gestört (vgl. Beetz 2003, S. 80f.).
Olbrich sieht die positive Wirkung von Tieren im Sinne der Biophilie-Hypothese in der Vervollständigung und Ergänzung unserer Lebenssituation (vgl. Olbrich 2003, S. 75). Tiere „tragen dazu bei, eine ‚evolutionär bekannte‘ Situation zu schaffen – und mit den vielen so möglich werdenden manifesten Transaktionen geschieht ebenso wie in dem durch die vorbewusste und bewusste Erfahrung ausgelösten Erleben etwas Heilsames. Die deutlichsten Effekte der Anwesenheit von Tieren sind sozial. Tiere sind soziale Katalysatoren, d.h. sie erleichtern oder ermöglichen den sozialen Austausch mit Menschen und anderen Lebewesen“ (Olbrich 2003, S. 76).
Du-Evidenz
Unter dem Begriff der Du-Evidenz, der 1922 von Karl Bühler geprägt wurde, versteht man die Fähigkeit des Menschen eine andere Person als Individuum wahrzunehmen (vgl. Vernooij/Schneider 2013, S. 7). Aber auch bestimmte Tiere sieht der Mensch als Partner oder Vertraute mit individuellen Eigenschaften und Qualitäten an. Die Du-Evidenz gilt laut einigen Autoren als notwendige Voraussetzung für Tiergestützte Interventionen (vgl. ebd., S. 9f.).
Bindungstheorie
Die Bindungstheorie, welche auf Bowlby (1968) und Ainsworth (1969) zurückgeht, besagt, dass die Art der Bindungserfahrung im frühen Kindesalter Einfluss auf das spätere emotionale und soziale Verhalten eines Menschen hat. Auch die Fähigkeit Emotionen wahrzunehmen, zu bewerten und angemessen auszudrücken sowie Sozialbeziehungen werden dadurch maßgeblich geprägt (vgl. Vernooij/Schneider 2013, S. 10).
Beetz hat einen Versuch unternommen, die Bindungstheorie auf die Mensch-Tier-Beziehung zu übertragen. Sie stellt fest, dass sowohl Tiere für den Menschen Bindungsobjekte darstellen als auch umgekehrt und dass positive Bindungserfahrungen mit einem Tier möglicherweise auch auf soziale Beziehungen mit Menschen übertragen werden können (vgl. Beetz 2003, S. 81ff.; Vernooij/Schneider 2013, S. 11).
Spiegelneuronen
„Als Spiegelneurone werden Nervenzellen bezeichnet, die während der Beobachtung oder Simulation eines Vorgangs die gleichen Potentiale auslösen, die entstünden, wenn der Vorgang aktiv gestaltet und durchgeführt würde“ (Vernooij/Schneider 2013, S. 12).
Es wird vermutet, dass es Menschen dadurch möglich ist, die Handlungen und Absichten anderer nachzuvollziehen. Allerdings ist noch nicht geklärt, ob auch andere Tiere (neben Makakenaffen) Spiegelneurone besitzen und ob sie den Menschen zum Spiegeln veranlassen können. Geht man aber davon aus, so können positive Effekte der Tiere auf den Menschen, wie Beruhigung und Verbesserung der Stimmung, erklärt werden (vgl. Vernooij/Schneider 2013, S. 12f.).
- Beetz, Andrea (2003): Bindung als Basis sozialer und emotionaler Kompetenzen. In: Olbrich,
Erhard; Otterstedt, Carola (Hrsg.): Menschen brauchen Tiere. Grundlagen und Praxis der
tiergestützten Pädagogik und Therapie. Stuttgart: Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co KG.
S.76-84.
- Olbrich, Erhard (2003): Biophilie: Die archaischen Wurzeln der Mensch-Tier-Beziehung. In:
Olbrich, Erhard; Otterstedt, Carola (Hrsg.): Menschen brauchen Tiere. Grundlagen und Praxis
der tiergestützten Pädagogik und Therapie. Stuttgart: Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co KG.
S.68-76.
- Vernoij, Monika A.; Schneider, Silke (2013): Handbuch der tiergestützten Interventionen.
Grundlagen. Konzepte. Praxisfelder. Wiebelsheim: Quelle & Meyer Verlag GmbH.